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Beitrag vom 21.12.2010
Ihr Kinderlein kommet - Wo bleiben sie nur
Isabell Serauky
Die Deutschen vergreisen und sterben letztlich aus. Diese Schreckensvision drängt sich beim Blick auf die aktuelle Geburtenstatistik auf. Aber warum bloß? Gerade das Elterngeld sollte die letzten..
... Zweifel wegwischen und uns zur Tat schreiten lassen. Aber auch dieses Mittel blieb fruchtlos. Dennoch gibt es gerade in Berlin Gegenden, die uns eine andere Welt zeigen.
Es scheint es noch zu geben, das Idealbild unserer Gesellschaft - Vater, Mutter, Kind. Allein, schon dessen bloße Existenz ist doch irgendwie beruhigend. Diese Keimzelle des Glücks trifft man gern und häufig im Berliner Prenzlauer Berg. Schlendere ich dort zwischen Läden wie "Buddelkiste", "Unsere süßen Knirpse", Oasen für Kinderyoga und gigantische Outdoor Anlagen, ehemals Spielplatz genannt, dann ist vom kalten Hauch unserer aussterbenden Spezies nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. Ich, das kinderlose Wesen, fühle mich geradezu ausgegrenzt. Als wahrhaftig legitimierte/r PrenzlauerbergerIn schiebt man mindestens einen Kinderwagen vor sich her. Besser noch, fest an die Brust gegurtet, baumelt bereits der fidele Sprössling Nummer zwei.
Dieses Idyll ist einmalig unwirklich. Denn die Statistik straft diese Kiezpopulation Lügen. 2009 sind satte 17.000 Kinder weniger als im Vorjahr geboren worden und das trotz Einführung des Elterngeldes vor drei Jahren. Nun sollte gerade jenes die lustlosen Akademikerinnen in Kinderlaune versetzen. Vergebens. Wir werfen doch nicht unseren ausgetüftelten Lebensplan für schnöden Mammon auf den Haufen!
Nein. Erst die Ausbildung, dann Studium, Auslandserfahrung, die richtige Stadt, ein nettes Heim und endlich noch den perfekten Mann. Dann fangen wir an nachzudenken, ob ein Kind in unser gezimmertes Leben überhaupt passt.
Dementsprechend ist der einzige Aufwärtstrend bei der Geburtenstatistik: Das Alter der Mütter. Die Zahl der Geburten stieg im Vorjahresvergleich ab dem 33. Lebensjahr an.
Sind wir einfach zu langsam in unseren Lebensentwürfen? Zu langsam, dass es am Ende, wenn überhaupt, eh nur noch für ein Kind reicht? Zu lange am Tüfteln, dass wir den Vater unserer Kinder nicht erkennen oder er über unseren beruflichen Lebensentwurf das Weite sucht? Sind die Gründe so erschreckend profan?
Unsere Ausbildung hat sich in den letzten Jahren sicher nicht wesentlich verlängert. Und Mann und Frau missverstehen sich heute genauso gut, wie gestern und vorgestern. Nein, da muss es noch etwas anderes geben, das uns den Kindersegen vermiest.
Betrachte ich meinen Freundeskreis, fällt das Dilemma in statistischen Dimensionen auf. Meist sind die umworbenen Akademikerinnen kinderlos geblieben und diejenigen, die es doch zur Mutterschaft gebracht haben, erziehen das heißgeliebte Einzelkind. Allein zu den Weihnachtsfeiertagen ist es mir trotz unzähliger Besuche bei Freunden nicht gelungen, ein vor Freude glucksendes Kind unter einem Weihnachtsbaum zu bewundern. Nichts. Tiefschürfende Gespräche über Stuttgart 21, Wikileaks Hin oder Her und der schier unerträgliche Weltschmerz konnten umfassend erörtert werden. Keine Ablehnung durch kleckernden Möhrenbrei oder markerschütterndes Kindergebrüll. Wir Erwachsenen waren unter uns und blieben es. Soweit so gut und für viele bleibt es dabei.
Allein die staatliche Kohle bringt uns also nicht in hormonelle Schwingungen. Dazu braucht es mehr. Viele scheitern bereits am passenden männlichen Mitstreiter. Er muss ja schließlich mitziehen, zwischen Wickeltisch und Milchpumpe. Und genau dazu gibt es Umfragen, die erneut dunkle Wolken aufziehen lassen. Denn anders als gedacht, will die männliche Spezies ihre Gene nicht mehr zwingend weiterreichen. Die Herrschaften haben doch heute, genauso wie wir Frauen, so wunderbare Ablenkungen, dass das Vatersein nur eine von vielen Optionen der Selbstverwirklichung darstellt. Aber selbst wenn wir Mr. Perfekt ergattert haben, sich auf ihn einzulassen, bedeutet ja schon Einschränkung. Denn nichts anderes ist schließlich der uns eingebläute Heilige Gral namens: Kompromiss. Wie mag da erst ein Kind unser wohl geordnetes Leben zerlegen?
Vielleicht fehlt es schlicht am Mut. Mut, sich das auch nur vorzustellen. Und die Veränderungen nicht als Verzicht, sondern als Gewinn zu begreifen. Ändern würde sich so ziemlich alles, da sind wir uns Kinderlose sicher.
Das Leben, so ohne Nachwuchs, kann rund sein. Wenn nichts fehlt, dann sollte auch nichts verändert werden. Mag man diese Haltung als Mutlosigkeit oder ganz, ganz böse, als Egoismus begreifen. Ich mag Kinder, solange es die Kinder der anderen sind. Sehr sogar. Meine Neffen, Nichten und Patenkinder. Gleichzeitig bewundere ich deren Eltern für ihre unglaubliche Engelsgeduld. Allein - beim Beobachten der "Raubtierfütterung" werde ich hibbelig. Nichts ist planbar und alles ist möglich. Ich bin eine Supertante und diesen Status werde ich – trotz wedelnder Scheine aus dem Hause Schröder - nicht upgraden. Schließlich muss es ja auch die geben, die spontan zum Babysitten gerufen werden können. Denn da war doch noch was – der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder unter drei Jahren. Immer noch eine Wunschvorstellung!
Die Autorin Isabell Serauky ist in ihrem anderen Leben Rechtsanwältin und hat eine Kanzlei im Berliner Prenzlauer Berg.
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